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1943

Ich werd’s kriegen. Ich werd’s kriegen, trotz allem. Ist schließlich mein Kind, das da in mir ist. Meines und seines. Ist sowieso schon zu spät.
Sein Kind. Das Kind des Faschisten.
Die Weiber auf der Straße grinsen mir nach, voller Häme und Hass und ohne Mitleid.
Ich werd’s kriegen.
Wenn sie gewinnen…
Wenn sie gewinnen, wird es mich retten.
Wird mir helfen zu überleben. Ein Kind von ihnen… ihr Kind. Es wird mir helfen. Wenn sie gewinnen.
Jetzt wünsch ich ihnen glatt schon den Sieg. Ich wünsche ihnen den Sieg. Ihnen, nicht uns.
Heut bin ich zum Gartentor raus und hab den Hass gespürt.
Die anderen hätten doch auch gewollt, aber bei ihnen ist nichts draus geworden. Bei mir aber schon und jetzt hab ich’s. Das Kind vom Faschisten. Dafür hassen sie mich. Werden von Bosheit zerfressen. Auch wenn sie sich noch hinter Grinsen versteckt. Noch.
Noch ist Krieg. Krieg gegen sie, und ich wünsch ihnen den Sieg. Wie soll man mich da auch lieben? Aber wenn unsere kommen, bin ich geliefert.
Ich will leben. Ich hätt’s loswerden sollen, aber jetzt ist’s zu spät, und ich will leben. Ich wollte das Kind nicht. Aber ich konnte es nicht wegmachen, damals. Es ist doch mein Kind.
Aber auch seins.
Die alte Glascha hat mich heute geohrfeigt. Und die anderen standen dabei und hätten ihr auch gerne gleichgetan. Aber sie trauen sich noch nicht. Noch nicht.
Ich bin eine Verräterin. Unsere Männer geben für die Heimat ihr Leben, und ich verrate sie. Das Heiligste. Ich hab soviel Schuld auf mich geladen, aber ich wollte so, und jetzt ist es da. Das Kind vom Faschisten. Wenn sie doch bloß gewinnen.
Ich bin eine Verräterin. Ich hab den Genossen Stalin verraten, ich habe die Heimat verraten, habe alle Männer unseres Dorfes verraten, aber ich konnt’ es nicht wegmachen. Es ist doch mein Kind.
Aber auch seins.
Sie haben das Fenster eingeworfen. Ich hab Angst. Ich will leben.
Unsere sind auf dem Vormarsch.
Himmel hilf.
Sie nehmen sich immer mehr raus. Ich geh schon kaum mehr nach draußen. Was erwartet mich bloß? Himmel, hilf.
Himmel, hilf. Sie sind gekommen. Und wie viele es sind. Soviel Bosheit. Ein Meer von Bosheit. Ich habe das Meer nie gesehen. Ich dreckige Hure. Nie. Faschistin. Ich werde es nie sehen. Ich Schlampe. Es strampelt, und mir ist wohlig und schrecklich zugleich.
Unsere sind auf dem Vormarsch. Schon bald sind sie da. Die alte Glascha will bei der Geburt nicht dabei sein. Wie soll ich denn ganz ohne Hilfe gebären?
Immer näher. Und ich will immer mehr leben. Kein einziges Fenster mehr heil. Durch die Hütte weht Wind. Ich esse kaum noch. Ich schlafe kaum noch. Ich warte, dass meine Nachbarn kommen, mich töten.
Das ist er alles Schuld. Der Faschistenbastard. So einen will ich zur Welt bringen.
Die Tränen wollen gar nicht mehr aufhören zu laufen. Es ist doch mein Kind. Mein Kind ein Faschistenbastard. Ich verlier den Verstand. Habt Gnade. Ich will leben.
Immer näher. Er, und auch die Vergeltung. Man wird mich bestrafen für meinen Verrat.
Nastja hat die Meldung gekriegt, ihr Mann ist gefallen. Ich weiß nicht, warum ich immer noch lebe. Als man sie von mir losriss, dachte ich, ich würd’ sterben. Aber ich will so sehr leben.
Nicht einmal 20 Jahre war ich auf dieser Welt. Ach, wie sehr ich sie liebe.
Er strampelt, und in mir zieht sich alles zusammen. Ihn werden sie doch auch töten. Wenn nicht die Soldaten, dann ganz sicher die Leute. Keiner wird ihn großziehen wollen, den faschistischen Bastard.
Ich hab Angst.
Heute sind sie zu mir gekommen. Haben mich an den Haaren durchs Dorf gezogen. Ich bin voller Dreck. Ich bin ein käufliches Luder. Ich hab die Heimat verkauft. Ich verdiene den Tod. Ich bin kein Mensch. Habt Gnade. Ich will doch nur leben. Ich hab doch noch überhaupt gar nichts gesehen auf unserer schönen Welt. Ich Schlampe. Habt Gnade.
Keine Gnade mit den Verrätern.
Ich hab so Angst. So Angst zu sterben.
Irgendwie bin ich doch noch nach Hause gekommen, aber unsere sind schon ganz nah.
Ich hab so Angst.
Ich lebe mit dieser Angst, mit dem Dreck und der Spucke und mit der Häme und den Drohungen.
Und mit ihm. Auch mit ihm, aber er lässt mich nicht leben. Ich hab so Angst. Er wird mich nicht überleben lassen. Der Faschistenbastard. Er, er, er, oh mein Gott.
Er ist doch so klein.
Morgen kommen unsere ins Dorf.
Leb wohl, mein Kleiner.
Mein kleiner faschistischer Bastard.
Du bist ja kaum größer als ein Kätzchen, und ansonsten ist alles wie sonst.
Leb wohl, mein Kleiner. Die Mama will leben.
Ich habe ihn bei der Straße aufgehängt. Damit sie ihn gleich sehen, wenn sie ins Dorf kommen. Als Zeichen der Reue. Als Zeichen meiner Ergebenheit gegenüber der Heimat, und dem Genossen Stalin persönlich.
“Tod den faschistischen Okkupanten” – hab ich auf den Karton geschrieben, den ich ihm in die Händchen gedrückt hab.
Nun bin ich sauber.
Als mich der Hauptmann eine Mörderin nannte, wollte ich das erst gar nicht glauben. Hab ihn nur ungläubig angeschaut, aber sein Gesicht war bar jeden Zweifelns. Und ich erinnerte mich, wie mein Kleiner im Wind baumelte, und bin auf den Hof rausgegangen, vor dem Soldaten.
Herrgott, dachte ich, als er sein MG auf mich richtete, Herrgott, rette mich und behüte mich.

Translated by Lars Nehrhoff

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